Der Leiter der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, Jens Christian Wagner behauptet, dass die namentlich unbekannte spanische Aktivistin mit ihrer Aktion und ihrem Apell die Shoah relativiert und bagatellisiert. Wird damit der Genozid mit der Shoah gleichgesetzt, wie es die das MDR in einer Teilüberschrift zusammenfasst? Er fordert stattdessen eine versachlichte Differenzierung.
Wenn man im Duden nach
„relativieren“ sucht, steht da:
„zu etwas anderem in Beziehung
setzen und dadurch in seinem Wert o. Ä. einschränken“ [1].
Wenn man aber den Begriff
Relativierung differenzierter betrachtet, dann öffnen sich komplexe Türen.
Dabei kann Relativität grundsätzlich in der Philosophie auch bedeuten, dass
etwas „[…] bezeichnet, wenn es hinsichtlich eines bestimmten Gesichtspunktes
nur durch Bezugnahme auf etwas anderes bestimmt werden kann.“[2]
Und dabei eröffnet die
Relativierung die Möglichkeit neue Perspektiven einzunehmen und Argumente
weitreichender zu denken[3].
Die Risiken liegen allerdings in der Abwehrhaltung, was dazu führen könnte,
dass das „relativierte“ bagatellisiert wird.
Und genau das ist dem guten
Leiter der Gedenkstätte Buchenwald passiert: er will den Genozid nicht als solches
bezeichnen, und relativiert diese Aussage durch Ermangelung der eignen
Expertise im Bereich des Völkerrechts. Dabei bagatellisiert er die vorläufige Einschätzung
des IGH, dass der Vorwurf des Genozids plausibel sei,[4]
gleichzeitig sieht er die Relativierung als Wertherabsetzung der Shoah und der
bestialischen Gewaltakte. Doch ist das so? Hat die spanische Aktivistin es so
gemeint, oder wollte sie insoweit relativieren, dass die Perspektive erweitert
wird, im Sinne eines erweiterten, eines universellen Blickes auf Gewaltakte
gegen eine Bevölkerung? Denn, davon gehe ich aus, meinte sie und meine ich
nicht den widerlichen Kulturrelativismus, sondern die diskursiv-dialektische
Praxis der Relativierung.
Mit dem Genozid in Gaza kann ein
Bezug zum Genozid an die jüdische Bevölkerung vorgenommen werden, mit der
Differenzierung, dass der Genozid in Gaza der Shoa weder qualitativ noch
quantitativ gleich kommt. Im Gegenteil: die bürokratisch-industrielle Qualität
– in all ihrer Bestialität – und die schiere Masse an Mord hinterlässt einen
gewaltigen Schatten über Gaza. Doch gleichzeitig werden Menschen in Gaza ihrer
universellen Menschenrechte beraubt, durch die Hamas und den Krieg durch
Israel. Sie sterben, sie trauern, sie hungern – sie leiden, weil die Hamas sie
in den Krieg gezogen hat, und weil Israel sie leiden lässt. Hiermit ist Israel
an die Forderung des IGH erinnert, und das universell geltende „Nie wieder“.
Oder muss Israel erst Lager bauen und industrieller Massenmord geschehen?